LEBENDIGE SYSTEME

EINE NEUE PERSPEKTIVE AUF DAS LEBEN

geschrieben von Klaus Schustereder


Die Haupteigenschaft von lebenden Systemen liegt darin, dass sie „außerhalb des Gleichgewichts“ operieren, aber dennoch fähig sind stabile, selbstorganisierende Strukturen zu produzieren. Ilya Prigogine (Nobelpreisgewinner in Chemie von 1977) stellte fest, dass Systeme außerhalb des Gleichgewichts als nicht lineare Gleichungen verstanden werden müssen.

Die genauen Erkenntnisse über die  Zusammenhänge zwischen dem Ungleichgewicht und der Nichtlinearität kulminierten in der Theorie der „dissipativen Systeme“. Laut Prigogine ist die klassische Thermodynamik zwar in der Lage stabile Systeme wie Kristalle zu beschreiben, dagegen besteht das Konzept der dissipativen Strukturen auf die enge Verbindung zwischen Struktur und Ordnung auf der einen Seite, und Entropie auf der Anderen. In der klassische Thermodynamik wird die Entropie der Energie immer mit Verlust gleichgesetzt. In seinem Konzept von dissipativen Strukturen zeigt sich ein radikales Umdenken in der Sichtweise, dass in offenen Systemen Entropie zur Quelle einer neuen, höheren Ordnung wird.

Laut Prigogine’s Theorie halten sich dissipative Strukturen nicht nur in einer Stabilität außerhalb ihres Gleichgewichts, sie entwickeln sich sogar weiter. Wenn der Fluss von Energie und Masse innerhalb des Systems zunimmt, gehen sie durch neue instabile Zustände hindurch und entwickeln dabei neuartige Strukturen höherer Komplexität. In der Sprache der nicht-linearen Dynamik erfährt das System  einen Gabelpunkt, wo es in völlig neue Zustände umschlagen kann, wo völlig neuartige Formen der Ordnung auftreten. Folglich können zunehmende Rückkopplungen auch eine Quelle von neuer Ordnung und Komplexität sein. Rückkopplungen spielen eine wesentlich Rolle in der Selbstorganisation von dynamischen Systemen. Eine von Prigogine’s größten Errungenschaften war es, das Paradox zu lösen, welches sich in den widersprüchlichen Ansichten über Evolution in der Biologie und der Physik zeigte.

In Prigogine’s Theorie ist das 2. Gesetz der Thermodynamik (das Gesetz von zunehmender Entropie/Unordnung) noch immer gültig, aber Entropie und Unordnung werden nun in einem neuen Licht gesehen. Der Punkt eines Umbruchs in einen Zustand der höheren Ordnung kann spontan auftreten ohne dabei im Widerspruch zum 2. Gesetzt der Thermodynamik sein. Laut Prigogine, sind dissipative Ordnungsstrukturen in einem Meer Unordnung, welche ihre Stabilität nicht nur bewahren, sondern ihre Ordnung sogar noch erhöhen, je mehr sich die Unordnung in ihrer Umwelt steigert.

Brechungspunkte können neue Eigenschaften und neue kognitive Fähigkeiten begünstigen und ein erhöhter Intellekt oder gestiegerte Selbstwahrnehmung hervorbringen. Krankheiten wären dementsprechend das Ergebniss von mangelnder Integration der neuen Eigenschaften oder ein Ausdruck von fehlender Ordnung in der höheren Komplexität. Die emergierenden Eigenschaften sind neue Fähigkeiten die auftauchen, wenn ein höheres Niveau der Komplexität erreicht ist, wobei Komponenten niederer Komplexität verwendet wurden. Die Eigenschaften sind neuartig in der Hinsicht, dass sie nicht aus vorherigen Teilen bestehen, sondern aus spezifischen Beziehungen und Interaktionen zwischen den Teilen der Struktur hervorgehen. Im weitesten Sinne betrifft dies auch das Ausbilden von ethischen Grundsätzen in der menschlichen Entwicklung.